SOLIDARITÄT SCHAFFEN – DEMOKRATIE ERNEUERN

10.01.2011: Diskussionspapier der Vorstände von Forum DL 21 und Parlamentarische Linke der SPD-Bundestagsfraktion für das Jahr 2011

Vorbemerkungen

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Was dieses Diskussionspapier sein will!

  • Ein Beitrag von links zur Standortbestimmung der SPD für das Jahr 2011 und darüberhinaus
  • Ein Anstoß für inhaltliche Debatten, die wir dringend nötig haben in der SPD – flügelübergreifend, flügelkontrovers, jedenfalls lebendig und attraktiv
  • Ein Versuch von Antworten, denn Fragen gibt es schon genug. Und wer nur fragt, hält dumm.
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    Was dieses Diskussionspapier nicht sein soll!

  • Ein Reflex oder gar eine Antwort auf den Seeheimer–Vorstoß vom November 2010
  • Eine Standardkritik von links an der Führung von Partei und Fraktion; weder fundamental noch versteckt (Fährtensucher aufgepasst). Das machen wir sehr direkt, wo wir es für notwendig halten.
  • Ein alternatives Grundsatzprogramm: Das Hamburger Programm der SPD ist hervorragend. Wir brauchen kein Neues.

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Was wir für die Zukunft ankündigen!

  • Weitere „Utopien“ von links. Eine SPD ohne kleine und große Utopien wird bekanntlich krank im Kopf!
  • Richtungsstreit in der Sache. Nur so geht es richtig zur Sache!
  • Eine Fortsetzung im Januar 2012!

A) Die Idee der sozialen Demokratie lebt.
1) Die sozialdemokratischen Wege in der Einen Welt
2) Politische Inhalte und politisches Vertrauen
3) Die soziale Basis der SPD in der Gesellschaft
4) Krisen, Gefahren und zentrale Herausforderungen
5) Die Impulse von links
B) Die SPD lädt sich neu auf!
a) Die Diskurse der Linken in der SPD im Jahr 2011
b) Projekte der Sozialdemokratie neu denken

  • Mit der Regulierung der Finanzmärkte ernst machen! Für eine Europa-Initiative der SPE!
  • Die Maßlosigkeit von Managergehältern angehen. Mit einem Unternehmenskodex für Fairness!
  • Die globale Umweltpartnerschaft ökonomisch absichern.
  • Das soziale Europa aufbauen! Mit einer gestuften Integration?
  • Europa lernen, europäisch studieren: Für eine europäische Hochschule!
  • Gute schulische Bildung für alle: Mit einem Masterplan Schule 2010!
  • Bildung hört nie auf! Für einen Pakt für Weiterbildung!
  • Gute Arbeit! Auch im Alter!
  • Solidarität stärken! In den System und in der Finanzierung!
  • Bürgerpartizipation und Bürgerschaftlichkeit! Neue Wege – neue Möglichkeiten!

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A) Die Idee der sozialen Demokratie lebt.

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1) Die sozialdemokratischen Wege in der Einen Welt

Die letzten Jahre haben gezeigt: Die sozialdemokratische Mission versteht sich nicht mehr von selbst. Die SPD in Deutschland wie die sozialdemokratischen Parteien in anderen Ländern des „alten Europa“ sind deshalb aufgefordert, selbstkritisch und mutig Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit mit neuen Perspektiven für eine moderne soziale Demokratie und ein neues Fortschrittsmodell unter den Bedingungen der Globalisierung zu verknüpfen.

Wo die Globalisierung und der ökonomische und gesellschaftliche Wandel die sozialdemokratischen Parteien in den reichen Ländern unter Druck gesetzt haben, haben sie die sozialdemokratischen Ideen in den ärmeren Ländern zugleich befördert und Parteien mit dieser politischen Ausrichtung gestärkt. Nationale Niederlagen einer Partei sind eben nicht zwangsweise auch Niederlagen der sozialdemokratischen Ideen und von sozialdemokratischen Reformprojekten insgesamt. Im Gegenteil. Die soziale Demokratie ist notwendiger und gefragter denn je.

  • Weltweit ist die sozialdemokratische Idee im Aufwind. In den größten Ländern der Welt wird die europäische Idee der Sozialdemokratie als Hoffnung des 21. Jahrhunderts entdeckt. Die kohärente sozialdemokratische Agenda setzt sich selbst in anderen politischen Richtungen durch, dass es eine richtige Balance von Staat und Markt geben muss, dass ein Sozialsystem auf Rechten und Ansprüchen gründet und nicht auf Wohltätigkeit und dass das Bürgersein nicht nur politische Freiheit braucht, sondern Gleichheit der Lebenschancen. Dieser Kern von Sozialdemokratie wird zum Gebot politischer Vernunft, weil anders Demokratie selbst keine Chancen hat und wirtschaftliche Entwicklung und nachhaltige Wohlfahrt an den Widersprüchen des globalen Kapitalismus zerbrechen. Dies wird für Milliarden von Menschen in Südostasien oder in Südamerika schon jetzt erkennbar Das sozialdemokratische Modell wird sich auch in weiteren Staaten auf ihrem Weg vom Schwellenland zum Wohlfahrtsstaat als Hoffnung und Perspektive des 21. Jahrhunderts durchsetzen.
  • Die Ausbeutung in der Arbeit ist nach wie vor Realität. Der aktuelle Aufschwung in Deutschland ist mit der Prekarisierung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Niedriglohnverhältnissen teuer erkauft worden. Er ist nicht für alle da. Die weltweite Arbeitsteilung wird mehr und mehr auch zu einem Raubbau menschlicher Arbeit in Niedriglohnländern, auch wenn sie teilweise zu Wohlstandsgewinnen führt. Die Sozialdemokratie als Partei der Arbeit und der Interessensvertretung der Beschäftigten ist hier mehr denn je gefragt.
  • Nur die sozialdemokratische Idee von sozialem Ausgleich und Gerechtigkeit bietet die Gewähr für den Erhalt der Demokratie beim notwendig werdenden ökonomischen und ökologischen Epochenwechsel, weg vom Fortschrittsmodell des 19. Jahrhunderts mit seinen Ideen der Naturbeherrschung und weg von der Fixierung des 20. Jahrhunderts auf das grenzenlose quantitative Wachstum für die Zukunft hin zu Nachhaltigkeit im Umgang mit den natürlichen Ressourcen und den Chancen eines qualitativen Wachstums. Das neue, differenzierte Fortschrittsverständnis wird auch zur Klammer zwischen den reichen und den noch armen Ländern im 21. Jahrhundert werden müssen. Oder Kriege um Wohlstand und Ressourcen und soziale und ökologische Katastrophen werden die Folgen sein.
  • Von Krise zu Krise wird klarer: Notwendig ist es, den spekulativen Kräften der Finanzmärkte und der rein profitorientierten Logik des globalen Kapitalismus Grenzen und Regeln entgegenzusetzen, die der realen Arbeit, der produktiven Wertschöpfung, der Absicherung echter Werte und dem Gestaltungsprimat von demokratischer Politik wieder Raum schaffen. Dies beweisen nicht zuletzt die politischen Debatten in vielen Industrie- und Schwellenländern, die das tonangebende neoliberale Denken hinterfragen. Der Finanzkapitalismus ist mehr denn je unter gesellschaftlichen Legitimationsdruck geraten. Der brutale Finanzkapitalismus der Moderne demaskiert sich selbst. Verändern kann und wird ihn nur die Politik.
  • Sozialdemokratische Ideen können sich aber nur durchsetzen, wenn sie eine klare Alternative zu den Antworten anderer politischer Kräfte darstellen – auch das zeigen alle Erfahrungen im internationalen Vergleich. Wenn es wie in der Vergangenheit dazu kommt, dass die Konturen sozialdemokratischer Politik aufgrund von angeblichen Sachzwängen verschwimmen, verschwindet für viele Menschen der Glaube an die Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie hat immer von der Vision einer Gesellschaft gelebt, in denen es allen – und nicht nur einigen wenigen – Menschen besser geht.

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2) Politische Inhalte und politisches Vertrauen

In dieser Situation ist die SPD einmal mehr in ihrer Geschichte aufgefordert, die zentralen ökonomischen und gesellschaftlichen Widersprüche und Herausforderungen stellvertretend für die gesamte Gesellschaft zu diskutieren und zu Perspektiven und Strategien zusammenzuführen. Und sie hat gleichzeitig die Chance und auch die Pflicht, neue Energien und neue politische Phantasie über produktive Debatten freizusetzen. Standortbestimmungen und Richtungsdebatten sind in einer linken Volkspartei wie der SPD kein Hemmschuh für politischen Erfolg. Im Gegenteil. Sie mobilisieren vielmehr nicht nur die Mitglieder und die Multiplikatoren von gesellschaftlichen BündnispartnerInnen, sondern bilden auch die Basis für die politische Überzeugungskraft der FunktionärInnen und Aktiven. Historisch war die SPD gerade in den Zeiten erfolgreich, in denen sie über ein starkes Zentrum und gleichzeitig über programmatisch aktive Parteiflügel verfügte.

Voraussetzung einer glaubwürdigen Richtungsklärung ist, dass sie in einem offenen demokratischen Prozess geführt und entschieden wird. Dies hat die SPD nach der Wahlniederlage von 2009 erfolgreich begonnen. Als linke Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen wir fest: Die Chancen für eine sozial-ökologische Politikwende haben sich wieder erhöht. Forderungen der Linken in der SPD wie z.B. die Finanztransaktionssteuer haben ihre randständige Position verlassen und befinden sich im Zentrum der allgemeinen politischen Debatte. Zugleich verstärkt sich wieder die Orientierung auf eine grundsätzlicher ausgerichtete und langfristiger begründete Politik, die nicht mehr nur auf kurzfristige taktische Vorteile in der Mediendebatte ausgerichtet ist. Der Kompass für die SPD ist die Vermittlung und Durchsetzung von möglichst viel sozialdemokratischer Politik. Und diesen Kompass kann und muss die SPD selbst bestimmen und darf sich von niemandem diktieren lassen. Eigene Stärke und eigene Souveränität sind gefragt, inhaltlich genauso wie bei notwendigen Koalitionsbildungen. So wie es der SPD im ebenso schwierigen wie wichtigen Jahr 2010 zunehmend und mit ganz konkreten Erfolgen gelungen ist.

Verlässliche politische Unterstützung in der Bevölkerung bei Wahlen und darüber hinaus entsteht auf der Grundlage einer klaren und immer wieder neu begründeten Werteorientierung in der Arbeit der Partei und ihrer Repräsentanten und ihrer konkreten praktisch nachvollziehbaren Politik in den Parlamenten und Regierungen. Kernwählerschaften sind notwendig und Kernwählerschaften müssen gepflegt werden. Gerade auch die sozialdemokratischen Parteien in Europa haben es schmerzlich erleben müssen, wohin es führt, wenn die langfristigen Wählerbindungen und die feste Verankerung in den eigenen Wählermilieus nicht als eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Reformpolitik, sondern vor allen Dingen als Hindernis für eine neue politische Ausrichtung verstanden werden.

Der Verlust von Vertrauen in der Arbeitnehmerschaft und im linksliberalen Bürgertum als Kernwählerschaft der SPD war auch Folge von neoliberalen Diskursen, die verunsichernd und demobilisierend auf die sozialdemokratische Wählerschaft wirken sollten und mussten und denen die SPD nicht klar und geschlossen genug entgegengetreten ist. Politische Vertrauens- und Überzeugungsarbeit braucht die eigenen gesellschaftlichen Diskurse. Die SPD darf sich in der Zukunft nicht mehr die falschen Diskurse diktieren zu lassen oder gar selbst zu einem anpassungsbereiten Teil solcher Diskurse zu werden. Sie muss eigene Debatten in der Gesellschaft führen und mit eigenen Analysen und Orientierungen, mit eigenen Werten und eigenem politischem Stil zu überzeugen.

Einen zentralen Ursprung unseres Glaubwürdigkeitsverlustes sehen wir darin begründet, dass die SPD sich mit den Glaubenssätzen des Schröder-Blair-Papiers von einem aktiven (Um-)Verteilungsauftrag verabschiedet hat. So wurden unsere Forderungen nach mehr und besserer Bildung, nach ökologischer Erneuerung oder nach sozialem Zusammenhalt vor dem Hintergrund der Aufgabe aktiver Verteilungspolitik und sogar von Steuerentlastungen für Reiche sowie angesichts der realen Haushaltsrestriktionen mehr und mehr unglaubwürdig. Zugleich ist es der Sozialdemokratie nicht gelungen, in den Zeiten ihres Regierungsauftrages die Einkommenspolarisierung in Deutschland und Europa zu schließen.

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3) Die soziale Basis der SPD in der Gesellschaft

Mehr als jede andere Partei wird die SPD von vielen Menschen als potentiell wählbar für sich erachtet, weil die SPD mehr als jede andere Partei zu dem sozialstaatlichen Grundkonsens in unserer Gesellschaft beigetragen hat. Dieser sozialdemokratische Grundkonsens führte über die Kernwählerschaft bei den industriell geprägten Arbeitnehmern und bei den abhängig Beschäftigten in Verwaltungen und Dienstleistungsunternehmen hinaus auch zur Attraktivität der SPD im linksliberalen Bürgertum, bei Intellektuellen, Kulturschaffenden und Selbständigen. Eine Politik für Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität sind das Fundament für Demokratie und Fortschrittsfähigkeit in der Gesellschaft insgesamt. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit als Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe ist und bleibt deshalb die Kernbotschaft der SPD!

Von diesem Fundament einer unverwechselbaren Politik für Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität aus hat die SPD dann mit ganz eigenen mutigen Konzepten zur Außen- und Sicherheitspolitik, zur Familien- und Gleichstellungspolitik, zur Bildungs- und Forschungspolitik, zur Umwelt- und Technologiepolitik, zur Einwanderungs- und Integrationspolitik aufgezeigt, wie der Fortschritt von morgen aussehen kann und zu gestalten ist. Diese Wegweisungen in die Welt von morgen haben die SPD als moderne Fortschrittspartei über ihre engere Wählerschaft hinaus attraktiv gemacht und zur Mehrheitsfähigkeit geführt. Hieran gilt es wieder neu anzuknüpfen.

Denn einerseits haben sich zentrale politisch- moralischen Auffassungen von staatlicher Verantwortung und demokratischer Kultur stabil erhalten und vor allem Gerechtigkeitsvorstellungen nicht individualisiert. Die Menschen wollen vielmehr durch Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit immer wieder neu überzeugt und für die Unterstützung der SPD gewonnen werden. Es ist deshalb strategisch richtig, sich mit einem klaren Profil soziale Gerechtigkeit auf diese Wählerinnen und Wähler zu konzentrieren. Und vor allen Dingen konkret zu belegen: Durch politisches Handeln lassen sich die persönlichen Lebensbedingungen für diese Menschen materiell und von der konkreten Lebensqualität her unmittelbar verbessern. Hierin liegt die Chance der SPD, Wählerinnen und Wähler aus der Wahlenthaltung, aber auch von Links – Partei und CDU/CSU mittelfristig zurückzugewinnen.

Und andererseits gibt es eine zunehmende Beweglichkeit zwischen den Wählergruppen der Parteien in den jeweiligen politischen Lagern, wenn es um die offenen Zukunftsfragen und das Gesicht des neuen Fortschritts geht, so auch im rot – grünen Spektrum im Bereich der ökologischen Erneuerung und finanziellen Nachhaltigkeit, der Bürgerrechte und der Gleichstellung, der Selbstständigen und der Kreativwirtschaft, der Bildung und Forschung, der Kultur und der persönlichen Lebensgestaltung, der Partizipation und der Demokratisierung. Hier erleben wir gerade im (groß -) städtischen Bereich eine große Volatilität. Die offenen Zukunftsfragen verlangen von der SPD ein eigenes Interesse, Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen und originäre Fortschrittsideen , wenn kritische und politisch bewegliche Wählerinnen und Wähler hier immer wieder neu gerade in der Konkurrenz mit den Grünen gewonnen werden wollen!

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4. Krisen, Gefahren und zentrale Herausforderungen

Ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Veränderungen, Widersprüche und Krisen entstehen nicht über Nacht und aus dem Nichts. Sie haben ihre Vorgeschichten und ihre systemischen Ursachen. Systemkrisen zu analysieren, möglichst klar und verständlich für die Bevölkerung zu benennen und zu erklären und auch weitergehende Folgen in die mittel- und langfristige politische Orientierung mit einzubeziehen, ist für eine Gestaltungspartei wie die SPD unverzichtbar. Schließlich erwächst aus der klaren Ansprache von vorhandenen Problemen und der rechtzeitigen Auseinandersetzung mit möglichen Problemen auch erst das langfristige Vertrauen in eine Partei und die nachhaltige Identifikation mit deren Wertorientierungen wie Problemlösungskompetenzen.

Die SPD muss sich deshalb von der Analyse wie der Problemprojektion noch intensiver als es bisher schon geschehen ist mit vier zentralen „Systemkrisen“ auseinandersetzen, die sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts bereits sehr deutlich abzeichnen, denn diese Systemkrisen bestimmen das Leben und Arbeiten der Menschen, ihre alltäglichen Routinen und Mentalitäten, ihre Hoffnungen und politischen Einstellungen. Und sie entscheiden auch darüber, wie sich Zusammenhalt und Teilhabe in unserer Gesellschaft weiterentwickeln. Sie bestimmen das Leben und Arbeiten der Menschen, ihre alltäglichen Routinen und Mentalitäten. Und sie entscheiden darüber, ob sich die Zahl der Integrierten erhöht oder verringert.

  • Der herrschende Finanzkapitalismus führt zu einer Schwächung der Realökonomien

In der globalisierten Finanzwirtschaft haben sich spekulative Prinzipien und die Abschöpfung von Renditen durchgesetzt, die mit der Dienstleistung für die Realwirtschaft nichts mehr zu tun haben. Die ökonomische Reaktion auf das Zusammenbrechen einiger weniger Finanzinstitute ist angesichts der weltweiten Verflechtungen und Abhängigkeiten von Realwirtschaft und Finanzwirtschaft immer weniger kalkulier- und beherrschbar. Wo eine systemische Größe von Finanzinstituten und Großunternehmen erreicht ist, werden die Regeln von ökonomischer Verantwortlichkeit außer Kraft gesetzt. Mit der Höhe staatlicher Verschuldung und dem Abbau staatlicher Finanzkraft wächst die Abhängigkeit von renditemaximierenden Finanzfonds. Die zunehmende Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen schafft die Grundlage für weitere Spekulationswellen. Die wachsenden Ungleichgewichte im Außenhandel verschärfen die Krisenanfälligkeit von Arbeitsmärkten, nationalen Haushalten und Währungsstabilitäten.

All dies trägt dazu bei, dass die reale Wertschöpfung mit realen Produkten und realen Dienstleistungen national, europäisch und global sich nicht so entfalten kann, wie es erforderlich und möglich ist. Andauernde „Finanzkrisen“ drohen vielmehr den Kostendruck auf Arbeitnehmer wie Unternehmer in der Realwirtschaft noch weiter zu verschärfen, ein nachhaltiges Wachstum zu gefährden und Konkurrenzen und unproduktive Spannungen zwischen den einzelnen „Nationalökonomien“ zu erhöhen.

  • Die Entwertung der Arbeit spaltet die Gesellschaft und entwürdigt die Menschen.

Die neoliberale Ideologie der tonangebenden Eliten hat mit Thatcher in England und Reagan in den USA die Entwertung der Arbeit und die Teilung der Gesellschaft aus Prinzip durchgesetzt. „Leistung gegen faire Teilhabe“ sollte auch in anderen Ländern dann nicht mehr gelten. Parallel zur ökonomischen Entwicklung griffen Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, die Ausfransung des Normalarbeitsverhältnisses zugunsten atypischer Beschäftigung und der Abbau sozialer Leistungen auch den Wert der Arbeit in Deutschland an. Der Sozialversicherungsstaat wurde in Frage gestellt. Der Konsens zur Vollbeschäftigung zu existenzsichernden Löhnen wurde aufgegeben. Die Tarifautonomie wurde durch die Flucht aus der Tarifbindung aufgekündigt.

Verunsicherung durch Arbeitslosigkeit und soziale Prekarität, unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung und befristete Stellen, Leiharbeit oder Niedriglöhne reichen mittlerweile bis weit in die Milieus der höher qualifizierten Arbeitnehmer und erfassen auch die kleinen und mittleren Selbständigen. Die Teilung der Gesellschaft in positiv- und negativ- Privilegierte, in sichere und unsichere soziale Lagen verschärft sich. Volkswirtschaftlich gefährdet diese Spaltung die Binnennachfrage noch weiter und schwächt das stabile Wachstum; gesellschaftlich verfestigt sie Destruktivität wie Apathie gleichermaßen und zerstört Aufstiegswillen und Anstrengungsbereitschaft und persönlich verunsichert und entwürdigt sie Menschen insgesamt über die Entwertung ihrer Arbeit mit all ihren Auswirkungen auf Gesundheit, Familienbildung, Teilhabebereitschaft und Engagement.

  • Die Gefährdung von Natur und Umwelt und die Überforderung der Ressourcen schlagen auf die Menschen zurück.

Vor der Gefährdung von Natur und Umwelt und ihren Folgen für die Menschen kann niemand mehr ernsthaft die Augen verschließen. Klimaerwärmung und Wetterextreme, Ausbreitung der Wüste und Gletscherschmelzen, sinkende Ernteerträge und Artensterben werden dramatisch zunehmen. Unterentwickelte Regionen wird dies ökologisch und ökonomisch besonders treffen und Klimaflüchtlinge werden das Bild der Welt radikal verändern. Aber auch in den entwickelten Ländern wie Deutschland droht die ökologische Krise mit ihren Kosten die Schwächsten in unserer Gesellschaft besonders hart zu treffen.

Gleiches gilt für die absehbare Überforderung der natürlichen Ressourcen durch die bisherigen Formen und Ansprüche von Produktion und Konsum. Ohne mehr Ressourceneinsparung und Ressourceneffizienz drohen auch hier eine Kostenkonkurrenz zu Lasten der Ärmsten und eine Verfügungskonkurrenz zu Gunsten der Stärksten. Hochgradige Risikotechnologien können hier kein Ausweg sein.

  • Die Krise der Demokratie hat systemische Ursachen.

Die Schwächung der Staaten und staatlichen Ebenen als primärer demokratischer Handlungsraum im Zuge der Globalisierung und zugleich die Zögerlichkeit bei der Demokratisierung Europas stellen die repräsentative Demokratie vor eine gefährliche Krise. Dies umso mehr, als dass zentrale Institutionen und Träger des Weltwirtschaftssystems (Finanzmärkte, EZB, IWF, Weltbank) mehr und mehr jeglicher demokratischen Einflussnahme entrückt worden sind – was gerade in diesen Tagen immer offenbarer wird. Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, dass sie mitbestimmen können am sozialen und wirtschaftlichen Haben und Sagen. Dies gilt umso mehr, wenn an einigen Stellen im parlamentarischen System die glaubwürdige Alternative fehlt, so dass der Eindruck eines Gegensatzes zwischen ‚Politik‘ und ‚Bevölkerung‘ entsteht und nicht mehr der Gegensatz unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Ansätze. Eine zentrale Herausforderung der Sozialdemokratie als demokratische Bewegung ist es daher, wieder eine Augenhöhe zwischen den Menschen und den Gesellschaft und Wirtschaft gestaltenden Institutionen herzustellen und offen für alternative Lösungsansätze zu sein.

Die zentralen Systemkrisen sind nicht mehr allein nationalstaatlich erklärbar noch politisch zu bearbeiten. Eine europäische und internationale Reformperspektive ist daher unabdingbar.

Konkret:
Bei den jüngsten sogenannten Finanzkrisen um Griechenland oder um Irland und die Stabilisierung des Euro und der Europäischen Union durfte nicht nur die Solidarität unter den Arbeitnehmern in Deutschland und die Sicherung des nationalen Wohlfahrtsstaat der Maßstab für sozialdemokratisches Handeln sein, sondern auch die Solidarität mit den Arbeitnehmern in Griechenland und Irland und deren Arbeits- und Lebensbedingungen. Nationaler Sozialpopulismus in Europa ist keine akzeptable Antwort auf die ökonomischen Disparitäten, aber ohne überzeugenden Interessenausgleich eine ständige Gefahr auch in der sozialdemokratischer Wählerschaft. Um diesen muss sich die europäischen Sozialdemokratie erkennbarer als in der Vergangenheit bemühen.

Die zunehmende Spaltung zwischen den reichen und den armen Regionen der Welt tragen bei zur anwachsenden legalen wie illegalen Migration bei. Soziale, religiöse und kulturelle Spannungen drohen die Menschen zu verunsichern. Klare Konzepte in der Einwanderungs- und Integrationspolitik, Schutz von Minderheiten und Kampf gegen jeglichen Fundamentalismus und latenten Rassismus sind gerade für die soziale Demokratie unerlässlich, wenn nicht diskriminierendem und autoritärem Rechtspopulismus der Boden bereitet werden soll.

Diese gemeinschaftlich und solidarisch innerhalb der sozialdemokratischen Parteienfamilie zu entwickeln und umzusetzen, wird umso schwieriger, aber auch notwendiger, als es hier durchaus unterschiedliche und widersprüchliche Interessenlagen der Beschäftigten in unterschiedlichen Ländern geben kann. Die SPD als stärkste sozialdemokratische Partei in Europa muss und kann hier mehr tun, um diese Reformperspektive in der Sozialdemokratischen Partei Europas und in der Sozialistischen Internationale zu entwickeln und zu befördern.

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5. Die Impulse von links

Die SPD muss und kann sich selbst und andere wieder neu überzeugen und begeistern. Die Idee der sozialen Demokratie lebt. Und das weltweit. Und kräftiger denn je. Die SPD muss dabei immer wieder neu an ihrer großen Erzählung von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft arbeiten. Sie muss mehr erklären, begründen und mehr Wertorientierung herstellen. Wir stehen für gleiche Menschenrechte und gleiche Teilhabe, für sozialen Zusammenhalt und für persönlichen Respekt und Sicherheit.

Als linke Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es uns darum, ein neues, gerechtes Fortschrittsmodell zu formulieren. Nicht jeder Fortschritt – erst recht nicht jeder technologische – ist ein sozialer und demokratischer Fortschritt, wie wir ihn wollen. Unser Anspruch ist: Wir wollen dem Fortschritt in Wirtschaft und Gesellschaft eine Richtung verleihen. Wir sehen einen aktiven demokratischen Handlungsauftrag an den Staat und an die Unternehmen.

Dem Fortschritt eine Richtung zu verleihen bedeutet, ihn nach unseren Werten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zu gestalten. Globale Wirtschaft muss demokratisch gestaltet werden, die Gesellschaft muss sozial gerecht ausgestaltet werden und Bildung muss frei und gleich organisiert werden.

In dieser Hinsicht ist unser Fortschrittsbegriff nicht geprägt von wertfreiem Glaube an Modernität. Sondern die Richtung des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts muss jeden Tags aufs Neue politisch erstritten werden.

Gegen eine rein ökonomische Globalisierung setzen wir den politischen Internationalismus. Gegen den Rechtspopulismus und Fundamentalismus stellen wir den Geist der Aufklärung und das persönliche Weltbürgertum. Provinzialität nein, Heimatverbundenheit ja! Die SPD belebt die Idee der Entspannungspolitik neu, mit ökonomischer, ökologischer und kulturellen Perspektive. Wir stellen uns in die Tradition der Nord – Süd – Kommission von Willy Brandt. Die SPD mobilisiert für mehr Demokratie in Europa und stärkt die demokratischen Institutionen. Sie wirbt für Deutschland als Schrittmacher für die politische Integration.

Die SPD braucht neuen Mut für große Projekte – Ziel 2020. Nur in der Verbindung von Zukunftsvisionen und Begeisterung, von Realismus und Langfristigkeit lässt sich auch die junge Generation wieder neu für die SPD gewinnen.

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B) Die SPD lädt sich inhaltlich auf.

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1) Die Diskurse der Linken in der SPD im Jahr 2011!

Für diesen Prozess der inhaltlichen „Aufladung“ konzentriert sich die Linke in der SPD im Jahr 2011 auf zwei Diskurse, die sie innerhalb der SPD und darüber hinaus befördern möchte.

a) Wie gestalten wir das Europa der Zukunft und welche gemeinsamen Ideen, Konzepte und Strategien können und wollen die sozialdemokratischen Parteien in Europa in diese gemeinsam gestaltete Zukunft einbringen? Oder: Wie wagen wir mehr gemeinsames Europa?

b) Wie entwickeln wir die Demokratisierung der Wirtschaft und die solidarische Gestaltung unserer Gesellschaft weiter und welche Formen von Teilhabe, Mitverantwortung und Selbstbestimmung sind für die Zukunft in der Arbeitswelt und im Sozialleben möglich? Oder: Wie wagen wir mehr soziale Demokratie ?

Für den Prozess der inhaltlichen Weiterentwicklung und Standortbestimmung legt die Linke in der SPD Forderungen, Vorschläge und Ideen zu einigen zentralen Botschaften und Handlungsfeldern der SPD vor. Wir alle wissen: Es ist um vieles leichter, nur Fragen zu stellen, als auch Antworten zu geben. Aber auf den Versuch kommt es uns an!

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2) Projekte der Sozialdemokratie neu denken!

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a) Mit der Regulierung der Finanzmärkte ernst machen: Für eine Europa-Initiative der SPE!

Angesichts der Konsequenzen einer ungezügelten und überdimensionierten Finanzwirtschaft muss eine durchgreifende Regulierung der Finanzmärkte durchgesetzt werden. Dieses ist das große Versprechen nach dem kurzzeitigen, aber umso dramatischerem Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte im Jahr 2008 gewesen. Nur mit diesem Versprechen waren auch die gewaltigen öffentlichen Finanzmittel zu legitimieren, die zur Absicherung und Rettung der Finanzmärkte bereitgestellt wurden. Und nach aktuell zwei Abschirmaktionen gegen Finanzangriffe auf Teilnehmerstaaten der Euro–Region fragen die Menschen mit Recht immer noch: Wo bleibt die versprochene kurzfristige, tiefgreifende und nachhaltige Regulierung der Finanzmärkte auf der nationalen und internationalen Ebene? Wer beginnt mit welchen Partnern einen entschlossenen Einstieg in die Transaktionssteuer? Und wie wird der öffentliche Finanzsektor so gestärkt, dass er ein Gegengewicht zu der Dominanz der privaten Finanzwirtschaft setzen kann?

Hierzu fordern wir als Linke in der SPD eine hochrangige Initiative der Parteien in der Europäischen Sozialdemokratie, die ein eigenes sozialdemokratisches europäisches Gegenkonzept gegen konservativen Attentismus und immer noch vorhandenen Marktliberalismus entwickelt und auf europäischer Ebene auch erkennbar und streitbar und offensiv gemeinsam vertritt. Elemente eines solchen Konzeptes müssen sein der Ausschluss von regelfreien Zonen in Europa, eine starke europäische Finanzaufsicht über transnationale Banken und Finanzinstitute, die strikte Begrenzung der Ratingagenturen auf ihr Kerngeschäft und der Aufbau einer eigenen europäischen Ratingagentur, ein europäischer Insolvenzschutz und Haftungsfonds, ein Konzept für Eurobonds und eine Stärkung des öffentlichen Bankensektors. Dies beinhaltet auch eine strukturelle Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, die die EU auf eine Politik des Ausgleichs des Außenhandels und die EZB auf die makroökonomischen Ziele Europas verpflichtet.

Die Einführung einer tragfähigen und spekulationshemmenden Finanztrans-aktionssteuer wird unverzüglich und schrittweise mit den Staaten vereinbart, die dazu bereit sind. Dafür wollen wir gemeinsam mit den anderen sozialdemokratischen Parteien Europas einen abgestimmten Vorschlag vorlegen. Die Initiative ist durch ein Volksbegehren auf europäischer Ebene im Sinne einer ersten europäischen politischen Kampagne zu untermauern. Wenn eine mit mehreren europäischen Ländern abgestimmte Transaktionssteuer wegen des Widerstands der Konservativen und Liberalen in absehbarer Zeit nicht eingeführt wird werden wir uns für die nationale Einführung einer qualifizierten Börsenumsatzsteuer einsetzen.

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b) Die Maßlosigkeit beim Management angehen: Mit einem Unternehmenskodex für Fairness!

Wenn Manager wie der Präsident von Novartis das 720 fache monatlich von dem verdienen, was der geringste Einkommensbezieher in seinem Unternehmen erhält, steht dieses in keinem Verhältnis mehr zu Leistung und Einsatz. Mit Unternehmensethik und unternehmerischer Verantwortung hat dieses nichts mehr zu tun. Gleichzeitig reihen sich solche skandalösen Vorkommnisse ein in zunehmende Verquickungen von Unternehmensführung und Unternehmensaufsicht, von Kurzfristdenken und Unternehmenshopping bis hin zum aggressiven Lobbying und der Verfilzung von Unternehmen mit Verwaltungen und Politik.

Wenn das Vertrauen in die Unternehmenskultur in der sozialen Marktwirtschaft nicht noch weiter zurückgehen soll, braucht es deshalb nicht nur einen strengen Unternehmenskodex in der Wirtschaft selbst, sondern auch eine gesetzliche Absicherung von Fairness im Management, wo immer dieses rechtlich möglich ist. Die Linke in der SPD fordert hier mehr Engagement der Wirtschaft selbst, aber auch der Regierungen und Parlamente. Auch die SPD kann und muss ihr Profil hier noch schärfen.

Stellen wir doch ein paar einfache Fragen: Was spricht eigentlich gegen eine Begrenzung von Managergehältern auf das maximal 100 fache des niedrigsten Gehalts im Unternehmen? Und eine jährliche öffentliche Dokumentationspflicht der entsprechenden Vergleichszahlen? Und eine Bemessung von Manager – Boni an der Durchschnittsleistung der letzten fünf Jahre? Und ein Verbot jeglicher Gewinnbeteiligung für Aufsichtsräte und Controller? Und eine weitere Begrenzung der Zahl von Aufsichtsratsmandaten? Und eine Karenzzeit für einen Wechsel von der Managementebene in den Aufsichtsrat? Wie auch eine Karenzzeit von einem Regierungsamt in eine Wirtschaftstätigkeit?

Die Linke in der SPD stellt sich hinter diese Forderungen! Solange jedenfalls , bis andere bessere Antworten auf die offensichtlichen Probleme und Missbräuche geben können. Denn neue Bürgerorganisationen wie Transparency müssen leider mit Recht darauf hinweisen, dass Deutschland hier keineswegs vorbildlich dasteht.

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c) Die globale Umweltpartnerschaft ökonomisch absichern!

Die Weltkonferenzen zum Schutz von Klima, Umwelt und Natur zeigen immer wieder, dass die Allianzen von Industrie- und Schwellen- und Entwicklungsländern weniger an der Einsicht in ökologische Zusammenhänge scheitern, sondern an den unterschiedlichen ökonomischen Voraussetzungen und Interessen. Weil der ökologische Umbau der Industrieländer und der ökologische Aufbau der Schwellen- und Entwicklungsländer aber so sehr im wechselseitigen Interesse liegen, muss die wechselseitige Blockade viel mehr als in der Vergangenheit geschehen, durch eine Verknüpfung von ökonomischen Interessen aufgelöst werden.

Die Investitionspolitik für den ökologischen Umbau darf deshalb nicht nur national gedacht werden, sondern muss gerade auch die jungen Volkswirtschaften aus den Schwellen- und Entwicklungsländern mit Wachstumsraten deutlich über dem Niveau der OECD – Länder einbeziehen. Wenn diese zum Teil sehr finanzstarken Länder das enorme Investitionspotential in grüne Sektoren und Technologien investieren, können sie einen wichtigen Beitrag zur Abmilderung der Klimaerwärmung leisten. Sie werden dieses umso leichtern tun, wenn sie eine deutlich höhere Investitionsquote auch bei den aktuellen Hauptverursachern von Umweltbelastungen feststellen können.

Dazu gehört auch der Einsatz für neue, den ökologisch–ökonomischen Nutzen optimierende Finanzinstitutionen und Finanzinstrumente, von einer „grünen Weltbank“ bis hin zu „Energiespar- und Effizienzfonds“, die Anlegern eine entsprechende Beteiligungsrendite garantieren.

Nicht zuletzt die europäische Union muss der Motor einer solchen partnerschaftlichen ökologischen Modernisierung sein. Dazu zählt auch eine zielgerichtete Verwendung der Einnahmen aus dem Emissionshandel für eine Umweltpartnerschaft mit den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas im Sinne eines „grünen Marshallplans“.

Eine solche Umweltpartnerschaft wirkt umso nachhaltiger, je mehr sie durch entsprechendes Personal aus den beteiligten Ländern untermauert ist. Stichworte sind hier die gezielte Ausbildung und Qualifizierung mit entsprechenden Stipendien und die Förderung von wissenschaftlichem, technologischem und ökonomischen Nachwuchs genauso wie gemeinsame Forschungsprojekte und –einrichtungen, Plattformen zum Austausch und zur Entwicklung von High Tech wie robuster Technologie oder die Gründung und Beteiligung an gemeinsamen Unternehmen.

Und hoffnungsvolle Abkommen wie der Global Compact zwischen den Vereinten Nationen und führenden Weltkonzernen müssen auch national unterstützt werden. Zum Beispiel mit einer Verpflichtung an die immer mächtiger werdenden Versicherungskonzerne und Pensionskassen, ihre Milliarden nur in Unternehmen anzulegen, die alle Kriterien des Paktes erfüllen: Schutz der Menschenrechte, Schutz der Arbeitnehmer und ihrer Rechte, Umweltschutz und Entwicklung umweltfreundlicher Techniken, Kampf gegen Korruption. Die Linke in der SPD setzt sich dafür ein, dass die SPD für diesen Global Compact der UN auch bei deutschen Unternehmen und Konzernen wirbt. Über die Einhaltung freiwilliger Vereinbarungen hinaus bleibt Ziel sozialdemokratischer Politik Standards für soziales, ökologisches und menschenrechtliches Verhalten verbindlich in internationale Abkommen aufzunehmen, z.B. im Rahmen der anstehenden Überarbeitung der OECD-Richtlinien.

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d) Das soziale Europa aufbauen! Mit einer gestuften Integration?

Alle wissen es. Niemand spricht es offen aus. Eine Europäische Union, die vor allen Dingen wirksam wird als Währungsunion, bleibt hinter ihren Möglichkeiten und verliert letztlich nicht nur immer mehr Zustimmung, sondern auch politische Handlungsfähigkeit. Die Linke in der SPD hält es für gefährlich, diesen Zustand tatenlos hinzunehmen. Wir stellen deshalb das Projekt einer gestuften Integration zur Diskussion.

Eine EU der variablen Geschwindigkeiten ist mehr wert als eine Gemeinschaft, die alle bei jedem Schritt mitnehmen möchte und aufgrund ihrer Größe doch nur auf der Stelle tritt beziehungsweise durch ihre innere Heterogenität ihre eigene Existenz gefährdet. Bereits heute befinden sich die 15 Länder der Eurozone auf einer höheren ökonomischen Integrationsstufe als die zwölf weiteren EU-Mitgliedstaaten. In diesem Kreis der Wirtschafts- und Währungsunion, der sich auszeichnet durch ein hohes Maß gemeinsamer öffentlicher Güter, ist die Europäische Sozialunion als wegweisendes Zukunftsprojekt zu initiieren. Ihre Aufgabe zielt auf die Ausbalancierung der bis dato erfolgten „negativen Integration“ – des Abbaus von nationalen Handelshemmnissen – durch den Aufbau gemeinsamer makroökonomischer und sozialpolitischer Regeln als „positive Integration“.

Die Weiterentwicklung europäischer Sozialstaatlichkeit zielt jedoch nicht auf die Vereinheitlichung nationaler sozialpolitischer Institutionen ab. Vielmehr sind die verschiedenen nationalen Wege auch eine Stärke der EU. Nicht Harmonisierung an sich, sondern Homogenisierung sozialstaatlicher Wirkungen muss das Ziel europäischer Sozialpolitik sein

Die Einhaltung landesspezifischer Tarifvereinbarungen und Sozialnormen muss Vorrang haben vor der Durchsetzung der Marktfreiheiten. Darüber hinaus ist die Etablierung gemeinsamer Mindeststandards des Arbeitnehmerschutzes voranzutreiben, wobei für günstigere nationale Regelungen eine Bestandsgarantie gilt. Leiharbeitnehmer sind arbeits- und sozialrechtlich gleichzustellen mit regulären Arbeitsverhältnissen. In allen Ländern der Sozialunion sind Existenz sichernde Löhne einzuführen, die mindestens 60% des nationalen Durchschnittslohns betragen müssen. Zusätzlich ist gemeinsam mit den Gewerkschaf-ten ein geeigneter Rahmen für ein effektives europäisches System der Lohnkoordinierung zu schaffen.

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Wohlfahrtsstaaten auch innerhalb der Sozialunion bleibt die Einrichtung einheitlicher sozialpolitischer Institutionen kaum umsetzbar Durchaus möglich ist jedoch die gemeinsame Fixierung quantitativer und qualitativer Standards und Normen für die einzelstaatlichen Sozialpolitiken. Entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes müssen die Sozialausgaben auf einer angemessenen, verbindlich vorgegebenen Höhe verbleiben. Um die Renten-, Gesundheits- und Arbeitslosenversicherungssysteme sowie die Familien- und Armutsbekämpfungspolitiken auch in qualitativer Hinsicht anzunähern, sind sektorale Zielvorgaben zu vereinbaren, deren Umsetzung innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts verpflichtend

Die zentrale Reformaufgabe deutscher wie europäischer Wirtschaftspolitik besteht in der Schaffung einer modernen Wirtschaftsregierung in Europa, damit eine wachstums-, beschäftigungs- und stabilitätsorientierte Abstimmung der großen Makroökonomischen Politikbereiche (Geld-, Finanz- und Steuerpolitik) ermöglicht wird.

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e) Europa lernen, Europa studieren. Für eine europäische Hochschule!

Die Bildung der Zukunft muss humanistisch, ökologisch und europäisch sein. Für die Hochschulpolitik der SPD und ihrer Schwesterparteien in der europäischen Sozialdemokratie stellt die Linke in der SPD in diesem Sinne einige Fragen: Werden wir dem Anspruch europäischer Bildung für die Hochschulen jetzt schon wirklich gerecht? Haben wir hinreichend registriert, welches gesellschaftliche, politische und nicht zuletzt auch ökonomische Potential im Europäischen Hochschulraum mit 40 Staaten, über 5000 Hochschulen und mehr als 10 Millionen Studierenden liegt? Können wir es zulassen, dass wir in Europa womöglich eher eine europäische Armee bekommen als eine „europäische Hochschule“ und eine gemeinsame abgestimmte und vertiefte Hochschulkultur? Wie laden wir hierzu den Bologna – Prozess inhaltlich neu auf, der ja nicht zufällig nach der ältesten „europäischen“ Universität aus dem Jahr 1119 benannt worden ist? Wie viele Studierende und Hochschulangehörige verbinden mit dem Stichwort „Bologna“ eigentlich mehr als den technokratischen Rahmen von Bachelor – Master, ECTS und Workload?

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Wie könnte so etwas aussehen:

1. Wir brauchen ein europäisches Kerncurriculum für die Hochschulen als Teil eines kontextbezogenen interkulturellen Studiums. Dies ist in einem offenen Prozess in einem Verbund der europäischen Staaten und Hochschulen zu entwickeln und wird als europäisches Studium Generale in die Hochschulen implementiert. „Europa – Hochschule“ wird damit zu einem Qualitätssiegel über den Bologna – Prozess hinaus. Hierfür müssen auch die Studien- und Abschlussanerkennungsregeln vereinfacht werden.

2. Die europäische Hochschule der Zukunft muss für jeden Studierenden persönlich erfahrbar sein – durch Mobilität und das Studium an einer Hochschule in einem anderen europäischen Land. Was der französische Sozialist Lionel Jospin zur Jahrhundertwende für die Schulzeit einforderte, wonach jeder junge Europäer mindestens 4 Wochen in einer anderen europäischen Familie leben sollte, gilt erst recht für die Studienzeit. Ein europäisches Pflichtsemester für jeden und Erasmus für alle ist hier das Ziel.

3. Die Identität von Institutionen wächst mit der Identität der sie tragenden Personen. Dazu tragen bei die wechselseitige Anerkennung von Qualifikationen und der unkomplizierte und gesicherte Austausch von Arbeitszeiten. So wie wir Europa – Lehrer brauchen, deren Arbeitsmöglichkeiten nicht an absurde Kleinstaaterei gebunden sind, brauchen wir auch den europäischen Hochschullehrer, der in die globale Wissens- und Forschungswelt der Zukunft Forschung und Lehre an mehreren europäischen Hochschulen einbringen kann. Mit dem europäischen Kosmopoliten Albert Einstein steht ein Namensgeber für eine solche „Europa – Professur“ bereit.

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f) Gute kindliche Bildung für alle: Mit einem Masterplan Kindertagestätte und Schule 2020!

Mit Recht wird die SPD als die Partei für die gute kindliche Bildung in Deutschland verstanden. Bis in die jüngste Zeit sind alle entscheidenden Impulse und Neuerungen von der SPD in den Kommunen, den Ländern und im Bund ausgegangen, sei es das Kindertagesstätten – oder Krippenprogramm, sei es die Ganztagsschule, das längere gemeinsame Lernen in der Gesamt- bzw. Gemeinschaftsschule oder die Integration und Inklusion für Kinder mit einer Behinderung. Mit der lagerübergreifenden Akzeptanz dieser Reformen und der wachsenden Bereitschaft zu einem Schulkonsens der zwei Wege G 8 und G 9 wachsen die Chancen, einen Master – Plan Kindertagesstätte und Schule 2010 zu einem gemeinsamen Bund – Länder – Projekt zu verabschieden und auch zu finanzieren. Mehrbedarfe von rund 10 Milliarden Euro jährlich sind gegenfinanzierbar aus der „demographischen Rendite“ von rückläufigen Kinderzahlen, Umschichtungen, auch bei zukünftigen Transferzahlungen und steuerlichen Mehreinnahmen.

Die Linken in der SPD sprechen sich nachdrücklich dafür aus, zur Umsetzung eines solchen Masterplans auch das überflüssige und schädliche Kooperationsverbot des Grundgesetzes für eine gemeinsame Finanzierung von schulischen Aufgaben durch Bund und Länder möglichst schnell aufzuheben. Dafür muss die Finanzlage der Kommunen substantiell verbessert werden. Die SPD muss sich an die Spitze der Bewegung für einen solchen Masterplan und eine vernünftige Bund – Länder- Kooperation setzen.

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Eckpunkte für einen solchen Masterplan sollten im Einzelnen sein:

  • Bildung muss allgemein zugänglich und möglichst beitragsfrei sein. Der kostenlose Besuch der frühkindlichen Bildungseinrichtung Kindertagesstätte von 1 bis 6 ist ein zentrales Projekt, um Kinder nicht nur früh, sondern gemeinsam und inkludent zu betreuen, zu fördern und zu bilden. Dazu muss die Bildungspflicht, ob nach Wahl der Eltern im der Kindertagesstätte oder in der Schule, um ein Jahr vorgezogen werden. Die Ausstattung der Kitas und Schulen muss durch pädagogische Teams und Sozialarbeiter verbessert werden.
  • Integration als Prozess beinhaltet Fördern und Fordern. Eltern müssen ihre Verantwortung für den Aufstieg ihrer Kinder wahrnehmen. Dies gilt insbesondere für die Teilnahme am schulischen Leben. Die Einbindung der Eltern in den Bildungsprozess muss durch intensive Lernortkooperationen in der Kita und der Schule verbessert werden. Die Schulpflicht bindet alle, sie muss durch intensive Betreuung im Zweifel auch Druck sichergestellt werden. Ein Besuch der Eltern in der Schule, mindestens zweimal jährlich, sei es beim Elternabend oder in Elternsprechstunden, sollte obligatorisch sein.
  • Eine selektierende Schulform, die in ihrem Status und ihrer Zusammensetzung den Ausschluss von Einstieg und Aufstieg durch Bildung gegenüber den betroffenen Jugendlichen wie den Familien, den Arbeitgebern wie der Öffentlichkeit dokumentiert, darf es nicht länger geben. Stattdessen setzen wir uns für weiterführende Schulformen in Deutschland ein, die jeweils an jeder Schule alle Schulabschlüsse ermöglichen und bei denen Kindern nicht von einer Schulart auf die andere verwiesen werden.
  • Alle Schulen sind schrittweise zu guten Ganztagsschulen auszubauen, mit mehr gemeinsamer Zeit für die Kinder und die Pädagogen, als sozial integrativer gemeinsamen Ort von Lernen und Leben und als verlässlicher Rahmen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und

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g) Bildung hört nie auf. Für einen „Zukunftspakt Ausbildung und Weitebildung“!

Bildung ist Menschenrecht. Dies gilt für die berufliche Bildung und es muss auch gelten für die Weiterbildung. Denn Bildung hört nie auf. Und berufliche Bildung wird immer wichtiger in einer Gesellschaft und Ökonomie, die auf gute Qualifikationen angewiesen ist, zur persönlichen und gesellschaftlichen Teilhabe genauso wie zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und Innovation. Was für die berufliche Erstausbildung zunehmend anerkannt wird, kommt bei der allgemeinen, beruflichen und kulturellen sowie politischen Weiterbildung noch nicht über das Stadium von Sonntagsreden in Deutschland hinaus. Hier belegt Deutschland im internationalen Vergleich einen bedauerlichen Abstiegsplatz.

Dabei drängt das Problem : Die Fokussierung auf 80 000 junge Menschen, die jedes Jahr ohne Schulabschluss bleiben, muss erweitert werden um 300 000 jungen Menschen, die immer noch ohne Zugang zur Erstausbildung in Warteschleifen gehalten werden und die 1,5 Millionen zwischen 20 und 30 ohne abgeschlossene Berufsausbildung bzw. die 5 – 6 Millionen Erwerbsfähige ohne Ausbildung und die über 4 Millionen funktionalen Analphabeten, die wir in Deutschland, einem der am höchsten entwickelten Länder der Erde, gleichwohl verzeichnen müssen.

Die Linke in der SPD fordert deshalb, die Einheit von Erstausbildung und Weiterbildung zu einem bildungspolitischen Schlüsselthema zu machen. Die SPD muss hier Zeichen setzen in den Kommunen, in den Ländern und im Bund!

Dazu gehören auch klare Forderungen und gesetzlich gesicherte Ansprüche:- Alle Menschen haben im Laufe ihrer Biographie das Recht auf mindestens eine vollqualifizierende Erstausbildung und drei Jahre berufliche Weiterbildung. - Nach einem Jahr haben junge Menschen das Recht auf einen voll qualifizierenden betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbildungsplatz. - Wer keinen Schulabschluss oder beruflichen Abschluss hat, hat das Recht auf eine zweite Chance. - Berufsbegleitende Ausbildungen müssen massiv ausgebaut werden, um die große Zahl junger Erwachsener ohne Berufsausbildung zu erreichen. Der Exklusion durch Warteschleifen im Zweiten Arbeitsmarkt muss begegnet werden. - Über die Einführung einer Arbeitsversicherung soll eine Finanzierungsgrundlage für berufliche Qualifizierung geschaffen werden. - Betriebe sind darüber hinaus durch branchenbezogene Weiterbildungsfonds an den Kosten für berufliche Weiterbildung zu beteiligen, selbst wenn sie nicht selbst Weiterbildungsmaßnahmen durchführen. - Die Kategorie der Beschäftigungsfähigkeit muss erweitert werden um die Kategorie der Weiterbildungsfähigkeit. Projekte wie WeGebAU etc. zur Qualifizierung und Beschäftigung älterer Arbeitnehmer haben nur eine Chance, wenn hier eine Weiterbildungsbrücke im mittleren Beschäftigungsalter gelegt worden ist. - Und: Die inklusive Bildungsförderung für Menschen mit Behinderung und Handicap gehört dazu. Sie verändert zugleich die Wahrnehmung und den Umgang mit Verschiedenheit allgemein und ist damit auch ein Beitrag zum Umgang mit Alter, Einwanderung, sozialer Vielfalt und Verschiedenheit. Inklusive Institutionen sind nicht mehr die gleichen Institutionen wie vorher, sondern Katalysatoren für Integration und Teilhabe durch Bildung allgemein.

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h)Gute Arbeit! Auch im Alter!

Die Linke in der SPD hat nachdrücklich darauf bestanden, die Überprüfungsklausel in den Rentengesetzen zu Rente mit 67 ernst zu nehmen und eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters erst dann zuzulassen, wenn es auch eine ausreichende Beschäftigung für ältere Menschen gibt. Die SPD insgesamt hat dieses auch so gesehen und entsprechend parlamentarische Initiativen eingeleitet.

Nur dabei darf es nicht stehenbleiben. Unser Anspruch an ein modernes, solidarisches Rentensystem lautet:- flexible Übergänge in die Rente sicherstellen - Schutz vor Altersarmut bieten - Sicherung des Lebensstandards bewahren

Die Arbeitswelt darf im Alter nicht so bleiben, wie sie ist. Es geht um altersgerechte Unternehmenskultur und individuell gestalteter Arbeitszeiten, um „Sabbatmonate“ und Gesundheitsprävention. Die SPD muss deshalb jetzt auch aus der Opposition heraus konkrete Initiativen einleiten zur Umsetzung guter Arbeit, auch im Alter.

Ältere Beschäftigte müssen über das Betriebsverfassungs- und das Personalvertretungsgesetz ein Recht auf eine altersgerechte Unternehmenskultur als Bestandteil guter Arbeit erhalten. Hierzu gehört u.a. ein Initiativrecht der Betriebs- und Personalräte in Bereiche wie u.a.- betriebliches Gesundheitsmanagement, - Präventions- und Mentorenprogramme - ergonomische Arbeitsplatzgestaltung.

Über ein Präventionsgesetz zu Gesundheitspflege und Gesundheitsschutz werden entsprechende Mittel und Strukturen für eine umfassende Gesundheitsprävention gesichert.

Ältere Arbeitnehmer haben ab dem Alter von 50 Jahren das Recht auf einen jährlichen „Sabbatmonat“, der für Qualifizierung und Gesundheitsprävention zweckgebunden ist.

Qualifizierung hat Vorrang vor Verrentung. Aber dort, wo die Fortsetzung von Erwerbstätigkeit aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr möglich ist, muss der Zugang zu Erwerbsunfähigkeitsrenten sichergestellt sein.

Der Staat muss darüber hinaus die Bedeutung des öffentlichen Sektors für einen fairen Arbeitsmarkt nutzen und den öffentlichen Sektor stärken. Die öffentlichen Ausgaben für Pflegekräfte sind - was Zahl und Bezahlung angeht - im Verhältnis zu den skandinavischen Staaten unterdurchschnittlich. Dies wirkt sich auf die Qualität der Pflege der Kranken und älteren Menschen aus.

Im Übrigen: Gute und fair bezahlte Arbeit ist immer noch die beste Versicherung gegen Altersarmut, die bei der Prekarisierung von Arbeit die sichere Konsequenz ist. Die SPD und die Gewerkschaften handeln deshalb auch im Sinne der Rentnerinnen und Rentner von morgen, wenn sie Sturm laufen gegen Mini–Löhne und Mini–Jobs, sich einsetzen für gleiche Bezahlung von Zeitarbeit und Festanstellung, für gleiche Bezahlung der Arbeit in Ost und West. Eine Rente nach Mindesteinkommen bleibt gleichwohl notwendig, als Rückversicherung. Denn Lebensarbeit muss Anerkennung finden.

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i) Solidarität stärken! In den Systemen und in der Finanzierung!

Unser Ziel ist die Stärkung der Solidarität in den Sozialsystemen. Wir wollen keine neuen Schritte zur Privatisierung der großen Lebensrisiken. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass private Vorsorge stets unter dem Vorbehalt der Entwicklung der Finanzmärkte und –spekulationen steht. Das umlagefinanzierte Sozialversicherungssystem – so sehen wir heute noch klarer – ist das sicherste System, um Lebensrisiken solidarisch abzusichern und finanzielle Risiken gerecht zu verteilen.

Daher plädieren wir für eine solidarische Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege, in die alle Berufsgruppen und alle Einkommensarten einbezogen werden. Über diesen Weg wollen wir mittelfristig die Spaltung des Gesundheitssystems in PKV und GKV überwinden und die dauerhafte solidarische Finanzierung gewährleisten. Wir wollen die Umlagefinanzierung als Grundlage der Finanzierung der GKV stabilisieren und stärken. Wir wollen in der SPD-Linken auch diskutieren, ob und wie eine stärkere Steuerfinanzierung mehr Gerechtigkeit im System erzeugen kann.

Ein sozialdemokratisches Steuerkonzept muss die Balance sozialer Gerechtigkeit wieder herstellen und zugleich die finanziellen Folgen der Krise solidarisch verteilen. Daher wollen wir den Spitzensteuersatz deutlich erhöhen, alle Einkommensarten wieder gleich behandeln, das Ehegattensplitting ersetzen, hohe Vermögen stärker besteuern, und die von der schwarz-gelben Bundesregierung eingeführten unfairen Steuerentlastungen zurücknehmen. Zugleich müssen Steuerschlupflöcher gestopft und Steuerflucht besser bekämpft werden. Zugleich plädieren wir für die sofortige Einführung der Börsenumsatzsteuer in Deutschland und eine Finanzmarkttransaktionssteuer in Europa.

Die Einnahmen wollen wir primär dafür verwenden, die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft in Deutschland deutlich zu steigern. Diese Zukunftsinvestitionen dienen zugleich der Haushaltskonsolidierung. Kleine und mittlere Einkommen wollen wir bei den Bildungsgebühren entlasten. Gebührenfreie Kitas sind nicht nur sozial gerecht, sondern auch ein enormes Entlastungsprogramm für Familien mit Kindern. Je nach Einkommen müssen Familien so bis zu 10 und mehr Prozent des Jahreseinkommens weniger an Gebühren zahlen und haben netto mehr zur Verfügung. Eine allgemeine Entlastung über die Senkung von Steuern oder Sozialabgaben dagegen lehnen wir ab. Diese würden etliche Milliarden Euro kosten und letztlich nur wenige Euro an Entlastungswirkung nach sich ziehen.

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j) Bürgerpartizipation und Bürgerschaftlichkeit! Neue Wege – neue Möglichkeiten!

Mehr Demokratie wagen! Das war die Antwort der SPD von Willy Brandt auf die politischen Verkrustungen des CDU – Staats der 60er Jahre und die Proteste der Studenten und Schüler. Neue Wege und Möglichkeiten der Bürgerschaftpartizipation und der Bürgerschaftlichkeit können die Antwort der Gegenwart sein auf sogenannte Politik- und Parteiverdrossenheit. Phantasie ist gefragt.

Die Linke in der SPD unterbreitet hierzu zwei Vorschläge zur Diskussion:

  • Die bürgerliche Beteiligung an den Planungsverfahren der öffentlichen Hand lässt viele persönliche Einsprüche und juristische Klärungen zu, aber erscheint gleichwohl sehr formal und ohne die dialogische, kontroverse Klärung zwischen den beteiligten Interessen und Positionen. Mediationsverfahren haben einen guten Sinn. Die Prozentsätze, die Bürger für ein Bürgerbegehren erreichen müssen, sollten auch den Maßstab setzen, unter dem Betroffene den Anspruch auf ein Mediationsverfahren mit entsprechender fachlicher Ausstattung bei bedeutenden Planverfahren haben.
  • Bürgerpartizipation und Bürgerschaftlichkeit in neuer Form drücken sich auch darin aus, dass Mitbestimmung, Eigenverantwortung und Gemeinschaftlichkeit in wirtschaftlicher und gleichwohl nicht profitorientierter Absicht neu gesucht werden. Gemeinnützige GmbHs stehen hierfür genauso wie Genossenschaften. Nur was einmal begonnen hat als Produktiv- und Hilfsgenossenschaften, findet mittlerweile eine Ausweitung vom künstlerisch–kulturellen Bereich bis hin zu Wohnhausgemeinschaften und Mehrgenerationenprojekten. Die Linke in der SPD fordert ein, diese neuen Entwicklungen mit mehr Interesse und Phantasie zu begleiten und zu unterstützen, als dieses bisher in der politischen Arbeit geschehen ist. Denn gemeinschaftliches Zusammenwirken im eigenen Interesse ohne besondere Gewinnabsicht ist sicherlich nicht die schlechteste Form einer neuen Bürgerschaftlichkeit.

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C) Breite Diskussion

Dieses Papier ist ein Diskussionsaufschlag für eine breite innerparteiliche Debatte zur Standortbestimmung linker sozialdemokratischer Politik. Dieser Diskussionsaufschlag wird bei der Jahrestagung des Forums Demokratische Linke 21 am 14. Mai 2011 diskutiert und durch die Beiträge der Basis und der Parlamentarischen Linken ergänzt. Es soll zudem als Input – nicht als Gegenposition – die Debatte um ein Fortschrittsprogramm der SPD unterstützen.

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Zugehörige Dateien:
DL21 PL Diskussionspapier Solidarität schaffen - Demokratie erneuern.pdfDownload (150 kb)
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