Bericht von der DL21-Tagung Mai 2010

07.06.2010: Entnommen aus dem Newsletter des Forum DL21

Die Jahrestagung des Forum DL21 e.V. fand am 28./29. Mai 2010 im Radialsystem Berlin statt und war ein voller Erfolg. Unter dem Titel "Deutungshoheit zurückgewinnen - Sozialdemokratie auf der Suche nach neuen Mehrheiten" wurde der inhaltliche und strategische Erneuerungsprozess der SPD vorangetrieben. Rund 200 Teilnehmer diskutierten an den zwei Tagen mit Experten aus Politik, Gewerkschaften und Wissenschaft über den Zustand und die Zukunft sozialdemokratischer Politik in Deutschland und Europa. Dabei bildeten die gegenwärtigen Finanzmarkt-, Währungs- und Wirtschaftskrisen, das Verhältnis von Kapital und Politik sowie die verheerenden Rückschlüsse und angekündigte Politik von Schwarz-Gelb auf die Krisen die große Klammer für die Diskussionen.

Bereits am Freitagabend begann die Jahrestagung mit der Mitgliederversammlung des Forum DL21 e.V. unter dem Motto "Programmlinke oder Vetospieler? Zur Rolle der SPD-Linken in der Opposition". Bei der Podiumsdiskussion mit Ludwig Stiegler, Ottmar Schreiner, Franziska Drohsel und Björn Böhning wurde unter der Moderation von Jan Pörksen der Frage nachgegangen, wie sich die SPD-Linke unter veränderten Rahmenbedingungen aufstellen sollte. Es wurde deutlich, dass auf der einen Seite die 11 Jahre Regierungsbeteiligung weiter aufgearbeitet werden und aus Fehlern gelernt werden muss. Auf der anderen Seite aber gerade jetzt die SPD-Linke gebraucht wird um die inhaltlichen Diskurse in der Partei zu führen, den Neuanfang der SPD zu gestalten und die Sozialdemokratie in Deutschland wieder stark zu machen.

Unter diesem Vorzeichen stand der komplette Tagungssamstag, der mit der Begrüßung und Einleitung von Björn Böhning begann. Der Sprecher des Forum DL21 machte deutlich, dass wir in Deutschland und Europa am Scheideweg stehen: Die Macht der Finanzmärkte gefährdet nicht nur unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand sondern auch das friedliche Zusammenleben und unserer Demokratie. Daher gelte es das Primat der Politik wieder herzustellen und die Finanzmärkte an die Leine zu nehmen. Gleichzeitig erleben wir, wie die CDU/CSU und FDP versuchen die Finanz- und Währungskrise für ihre Zwecke umzudeuten: Nicht die Akteure eines entfesselten Finanz- und Kapitalmarktes sondern die verschuldeten Staaten sind in ihren Augen Hauptschuldtragender für die Krise(n). Die Zeche zahlen also wir: Die Anhebung von Beiträgen für Sozialversicherungen und für kommunale Gebühren oder die geplante Anhebung der Steuern für Nacht- und Schichtarbeit zeigen, dass Angela Merkel und Guido Westerwelle die Finanzlasten unseres Landes in dramatischer Weise den Arbeitnehmern, Rentnern, Familien und Kommunen aufbürden wollen. Besonders alarmierend seien die Absichten von Schwarz-Gelb die Bildungsausgaben zu kürzen (siehe auch Video-Statement von Björn Böhning).

Diese Einleitung griff Andrea Nahles mit einer mitreißenden Rede zum Thema "Deutungshoheit zurückgewinnen - aber wie und mit welchem Programm" auf, die zu einer lebhaften und konstruktiven Diskussion im Anschluss führte. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarkt- und Währungskrise wurde eine Situation für Deutschland und Europa skizziert, die verlangt die Systemfrage neu zu stellen, die dringend nach sozialdemokratischen Antworten verlangt aber nur neoliberal-konservative Politik in Deutschland bekommt, die nun unter der Überschrift "Haushaltskonsolidierung" Sozialabbau, Bildungsraubbau und die Umverteilung von unten nach oben betreibt (siehe auch Video-Statement von Andrea Nahles).

Am Nachmittag war dann Gelegenheit in drei Foren die inhaltliche Arbeit voranzutreiben und Positionen der SPD-Linken zu erarbeiten: Im Forum I "Welche Wirtschaftskonzepte braucht die Sozialdemokratie?" wurden unter der Leitung von Christian Z. Schmitz mit Prof. Sebastian Dullien und Dr. Matthias Kollatz-Ahnen die Diskussion vom Vormittag wieder aufgenommen und konkretisiert. Neben der Forderung nach einer größeren Regulierung der Finanzmärkte, deren genauer Ausgestaltung stand auch die Frage nach einem überzeugenden linken Wirtschaftskonzept mit einer fortschrittlichen Wertschöpfungspolitik im Mittelpunkt, das auf qualitatives Wachstum setzt (siehe auch Video-Statement von Matthias Kollatz-Ahnen).

Das Forum II "Aufstieg statt Ausgrenzung. Sozialdemokratische Integrationspolitik" wurde von Claudia Walther geleitet. Während Kenan Kolat als Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland die Probleme einer sozialen, wirtschaftlichen und poltischen Ausgrenzung beschrieb und das Fehlen einer kohärenten Integrationspolitik anmahnte, stellte Ministerin Doris Ahnen die Chancen einer durchlässigen, sozialdemokratischen Bildungspolitik, die Aufstieg und Integration ermöglicht dar. Das DL21-Thesenpapier zum Thema bietet an dieser Stelle zahlreiche Anknüpfungspunkte, so dass eine ganzheitliche Integrationspolitik abgeleitet werden kann.

Im Forum III "Ungleichheit als Wachstumsbremse? Verteilungskonflikte und -politik in der Globalisierung" wurde unter der Leitung von Knut Lambertin die Themen Armut und Verteilungspolitik mit Prof. Klaus Dörre und Klaus Barthel MdB diskutiert. Es wurde deutlich, dass die Sozialdemokratie insgesamt diese Themen in den letzten Jahren vernachlässigt hat, die Wichtigkeit und Sprengkraft aber ein erneutes "agenda setting" für die SPD verlangen. Auf der Grundlage des Thesenpapiers wurden im Workshop erste Konkretisierungen für eine neue lokale und globale Verteilungspolitik erarbeitet, die die Umverteilung von arm nach reich stoppt und mehr Gerechtigkeit und Wohlstand herstellt (siehe auch Video-Statement von Knut Lambertin, Klaus Barthel und Klaus Dörre).

Mit Spannung wurde das Abschlusspanel der Jahrestagung erwartet. Die "Suche nach neuen Mehrheiten" wurde in der Podiumsdiskussion "Was folgt? Anforderungen an eine linke Reformalternative" erörtert. Unter der Leitung von Richard Meng diskutierten Florian Pronold, Steffi Lemke, Dietmar Bartsch und Michael Guggemos über Chancen und Hindernisse einer linken Reformalternative in und für Deutschland. Hierbei standen die Inhalte im Vordergrund: Lehren aus der Finanzkrise, moderne Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Prinzipien einer gerechten Verteilungspolitik und die Implikationen einer soliden Haushaltspolitik für Bund, Länder und Kommunen. Gemeinsamkeiten gab es vor allem in der Beurteilung der katastrophalen Performanz und Politik der schwarz-gelben Regierung und der Aussicht auf eine bessere Alternative für Deutschland. Auf der anderen Seite wurde aber an einigen Stellen auch deutlich, dass der Weg zu einem möglichen echten, verlässlichen und zukunftsweisenden "rot-rot-grünen Projekt" auf Bundesebene durchaus noch weit und steinig ist. Konsens herrscht wiederum in der Einschätzung, dass genau solche Veranstaltungen deshalb so sinnvoll sind und den Weg ebnen können (siehe auch Video-Statements von Steffi Lemke, Dietmar Bartsch und Richard Meng).

Im Anschluss an die Tagung fand die Jubiläumsfeier "10 Jahre linke Politik in der Sozialdemokratie: 10 Jahre Forum DL 21 e.V." statt. Bei köstlichem Gegrilltem, erfrischenden Getränken und Live-Musik der Klezmer Band "Klezmer Chidesch" wurde auf den Spree-Terrassen des Radialsystems der runde Geburtstag gefeiert. Den Höhepunkt stellte die mitreißende Festrede von Prof. Dr. Franz Walter dar, die sowohl inhaltlichen als auch humoristischen Glanz versprühte (siehe auch Video-Statement von Franz Walter). Die große Freude vieler Anwesender am späteren Abend über den Sieg von Lena beim Eurovision Song Contest in Oslo wurde zum Teil am Montag getrübt, da ihre Pressekonferenz (und der Rücktritt von Horst Köhler) die Ausstrahlung des Tagungsbericht bei Phoenix auf unbestimmte Zeit verschob. Alles in allem waren sich die Tagungsteilnehmer aber einig: Eine rundum gelungene Tagung der SPD-Linken, die einen großen Schritt für den inhaltlichen, organisatorischen und strategischen Erneuerungsprozess der Sozialdemokratie in Deutschland darstellt.

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