Sozialstaat verbessern - Spaltung der Gesellschaft bekämpfen

17.06.2008: Beschluss des Vorstands der Parlamentarischen Linken in der SPD‐Bundestagsfraktion, Berlin, 17. Juni 2008

1. Der 3. Armuts‐ und Reichtumsbericht

Der 3. Armuts‐ und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat es erneut bestätigt: Die gesellschaftliche Polarisierung nimmt weiter zu. Die Zahl der von Armut bedrohten Menschen wächst ebenso, wie die Zahl derjenigen, die in Reichtum leben. Zugleich tragen die oberen Einkommensschichten nicht entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung armutsverhindernder Maßnahmen bei. Trotz diverser Maßnahmen zur Armutsvermeidung und ‐bekämpfung, die insbesondere die rot‐grüne Bundesregierung seit 1998 auf den Weg gebracht hat, konnte ein weiteres Auseinanderklaffen der Einkommensund Vermögensschere in Deutschland nicht verhindert werden. Die Situation ist ernüchternd: Die deutsche Wirtschaft boomt und das Volksvermögen wächst, doch es profitieren bisher deutlich weniger Menschen davon als in früheren Aufschwungsphasen. Für viele Menschen in der Mittelschicht ändert sich wenig. Selbst erfolgreiche Lohnabschlüsse drohen schnell wieder aufgefressen zu werden, z.B. durch die stetig steigenden Energiepreise. In den unteren Einkommensbereichen drohen immer mehr Menschen den Anschluss zu verlieren oder sind bereits sogenannte „Aufstocker“, die von ihrem Lohn alleine nicht mehr leben können. Diese Entwicklung der Einkommens‐ und Vermögensverteilung hin zu den beiden Extrempolen kann schwerwiegende Folgen für eine demokratische Gesellschaft haben: Immer mehr Menschen werden von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Damit steigt die Gefahr, dass sich Frust in der Hinwendung zu populistischen und extremistischen Lösungsansätzen ausdrückt. Auf der anderen Seite wächst eine Einkommens‐ und Vermögenselite, die sich mit ihren finanziellen Ressourcen ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft entzieht, z.B. durch Steuerflucht. Mit Blick auf den 3. Armuts‐ und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt sich:- Der Schlüssel zur Armutsvermeidung ist existenzsichernde Erwerbsarbeit. - Der Sozialstaat wirkt. Er muss aber noch besser werden, um Armut effektiver zu bekämpfen.- Die ungleiche Einkommens‐ und Vermögensverteilung untergräbt den solidarischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Den wachsenden Reichtum müssen wir mobilisieren um Teilhabe für alle zu ermöglichen.

Die Spaltung in Arm und Reich

Zahlen aus der Armuts‐ und Reichtumsforschung belegen die wachsende Kluft bei den Einkommensentwicklungen. Vergleicht man die prozentuale Entwicklung der gesellschaftlichen Einkommensschichtung so ergibt sich von 1986 bis 2006 folgendes Bild: Zählten im Jahr 1986 rund 16% zur oberen, 63% zur mittleren und 21% zur niedrigen Einkommensschicht und zur Armut, so ist die Entwicklung bis 2006 weg von der Mittelschicht hin zu den Extremen umgeschlagen. Während nun 20% zur oberen Einkommensklasse gehörten und 25% zur unteren, nahm die Mittelschicht in den bezeichneten zwanzig Jahren um knapp 9% auf 54% ab[1]. Dieser Trend hängt wesentlich damit zusammen, dass sich die Einkommensquellen unterschiedlich entwickelt haben. Während die Einkommen aus Löhnen und Gehältern stabil bis rückläufig waren, sind die Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit sowie Vermögen stark gestiegen. Während der Großteil der Menschen im mittleren und niedrigen Einkommensbereich ihr Einkommen aus Löhnen und Gehältern bezieht, sieht dies im „Oberhaus“ der finanziellen Verteilung anders aus: Im Durchschnitt wurden in 2004 83% der Einkommen in Deutschland aus Löhnen und Gehältern erzielt. Das oberste Prozent der Einkommensbezieher erzielte jedoch nur 42% seines Einkommens aus Lohn und Gehalt, 42% stammen aus Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und 16% aus Vermögenseinkommen.

Entwicklung des Einkommens aus Lohn und Gehalt
Die Löhne und Gehälter sind in Deutschland im Durchschnitt von 1991 bis 2004 de facto gesunken. Im Jahr 2004 lag das Nettorealeinkommen bei nur 98,5% des Niveaus von 1991. Wobei auch hier eine Ungleichverteilung festzustellen ist: Die Gehälter im obersten Einkommensbereich sind in dem Zeitraum sogar gestiegen. Exemplarisch für diese Entwicklung ist, dass die Vorstandsbezüge der Manager und Vorstände der 30 DAXUnternehmen von 1998 bis 2004 um 108% erhöht worden sind. Ein wichtiger Grund für die Reallohnverluste der letzten Jahre ist sicherlich auch, dass der Anteil der Beschäftigen im Niedriglohnbereich seit Beginn der 1990er Jahre um mehr als 10 % angewachsen ist.

Entwicklung der Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit
Die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und bei Selbstständigen sind seit 1991 insgesamt deutlich angewachsen. Dabei gibt es innerhalb dieser Gruppe große Unterschiede. Die Gewinne von kleinen Einzelunternehmen und Selbstständigen waren 2004 kaum größer als 1991. Dagegen haben sich die operativen Gewinne von Kapitalgesellschaften, also den zumeist großen deutschen Unternehmen, im selben Zeitraum um 61% erhöht.

Einkommen aus Vermögen
Vermögensbesitzer und Kapitalanleger konnten in den letzten Jahren von den Rekorddividenden an den Aktienmärkten profitieren. Hintergrund ist die zunehmende Orientierung der Firmenpolitiken auf den „Shareholder Value“. Das heißt, dass das Renditeinteresse der Anleger immer stärker in den Mittelpunkt der Unternehmensziele gerückt ist. 2006 wurden zum Beispiel 41% der Gewinne der 30 größten DAX Unternehmen an die Aktionäre ausgeschüttet. Zur Entwicklung dieses Renditewachstums hat auch das aggressive Auftreten von Hedge‐ und Private‐Equity‐Fonds beigetragen. Vielfach mussten die Beschäftigen ein derartiges Renditewachstum mit Lohnverzicht finanzieren. Dies hat in der Folge dazu geführt, dass sich auch die Vermögensverteilung stetig auseinander entwickelt hat.

Das komplette Dokument im Anhang


[1] Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 10 2008 ^

Zugehörige Dateien:
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