Beitrag zur Anhörung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie des Berliner Abgeordnetenhauses am 22. Mai 2008

22.05.2008: Dr. Bruno Osuch Berliner Landesvorsitzender des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD)

Sehr geehrte Vorsitzende Frau Müller,
meine Damen und Herren,
ich danke dem Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie für die Einladung zu dieser Anhörung und komme sogleich zu meinen zentralen Thesen:
1. Die großen Metropolen wie Berlin, London oder Paris kämpfen schon seit längerem mit den Problemen von ethnisch-kulturell und sozial-religiös geprägten Segregationsund Ghettoisierungstendenzen. Parallelgesellschaften und ihre Konflikte schwappen längst in die Schulen. Diese prägen nicht mehr nur das subkulturelle Milieu etwa auf den Pausenhöfen.

Ich weiß wovon ich spreche. Ich war 20 Jahre lang Gesamtschullehrer und Fachbereichsleiter für Gesellschaftskunde im Problembezirk Neukölln. Die meisten meiner Schüler kamen aus den Wohnquartieren Karl-Marx-Straße, Sonnenallee, Kottbusser Damm - besser bekannt unter dem Begriff "Rütli-Kiez".

Dort mussten wir schon Anfang der neunziger Jahre feststellen, wie etwa Mädchen aus aufgeklärten türkischen Elternhäusern von konservativen muslimischen Jungs gedrängt wurden, Kopftücher zu tragen.

Mittlerweile haben im Berliner Durchschnitt fast 30 Prozent aller Schülerinnen und Schüler Berlins einen nichtdeutschen Hintergrund. In den kommenden Jahren ist es jeder Zweite.

Es kann daher nicht im Interesse der Gesellschaft liegen, anstelle des Kennenlernens unterschiedlicher Religionen und Überzeugungen im gemeinsamen Ethikunterricht, diesen zu zerschlagen und die Schüler so ihren jeweiligen religiös-kulturellen Nischen zu überlassen. Statt Parallelwelten auch noch in den Schulen zu unterstützen brauchen wir die Förderung eines gemeinsamen Lernens von Toleranz und gegenseitigem Respekt!

2. Der ethische Minimalkonsens der öffentlichen Schule und des Faches Ethik sind die Menschenrechte der Vereinten Nationen und der Wertekonsens unserer Verfassung. Nicht mehr - aber nicht weniger. Und es muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass viele dieser Rechte im Laufe unserer Kulturgeschichte nur allzu oft gegen den Widerstand von Kirchen und Religionen erstritten werden mussten.

Die besondere Stärke des Ethikunterrichtes liegt in seiner religiösen und weltanschaulichen Neutralität sowie in seiner wissenschaftlichen Fundierung.

Bekenntnisorientierter Religionsunterricht aber - egal welcher Strömung oder Konfession ist etwas grundsätzlich anderes als ein wissenschaftlich begründetes Schulfach.

3. Diese Erkenntnisse setzen sich nicht nur in Berlin durch. Auch in vielen anderen Ländern Europas wird die Debatte um einen gemeinsamen Werteunterricht auf ethischer Grundlage in den öffentlichen Schulen geführt. Ob in den Beneluxstaaten, in Österreich oder in Spanien - um nur einige Beispiele zu nennen. Wir befinden uns daher mit unserem obligatorischen Ethikunterricht in guter Gesellschaft.

4. Eine der zentralen Aufgaben eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichtes ist es - das liegt nun einmal in der Natur der Sache - für seine Religion zu werben. So lautet auch die entsprechende Aussage im Rahmenplan für den evangelischen Religionsunterricht in Berlin-Brandenburg - ich zitiere:
[i]"Die Schüler sollen lernen, die Frage nach Gott zu stellen.”[/i]

Meine Damen und Herren, es mag ja Zeiten gegeben haben und auch heute noch Gebiete etwa im Süden Deutschlands geben, wo dieses Lernziel in der öffentlichen Schule kaum hinterfragt wurde. Aber in einer aufgeklärten, liberalen und mehrheitlich säkular orientieren Stadt wie Berlin kann eine solches Lernziel doch nicht ernsthaft Teil des staatlichen Curriculums sein.

Um es zuzuspitzen:
Die auf wissenschaftlichen Grundlagen arbeitende öffentliche Schule im pluralistischen Berlin darf sich nicht für den Missionierungsanspruch von Religionen einspannen lassen.

Weil man nach 1945 aus den leidvollen Erfahrungen eines religiös und ideologisch zerrissenen Deutschlands gelernt hatte, beschloss 1947/48 eine linksliberale Dreiviertelmehrheit der Berliner Stadtverordnetenversammlung eine moderate Trennung von Kirche und Staat und die Gleichbehandlung von Weltanschauungsgemeinschaften. Seitdem gilt: Jeder kann nach seiner Facon selig werden - aber Religion ist Privatsache.

Das bedeutet:
Wer Religionsunterricht oder Humanistische Lebenskunde haben will, kann dies jederzeit und überall in den Räumen der Berliner Schule in Anspruch nehmen. Der Staat zahlt dafür bis zu 90 Prozent der Personalkosten. Aber bitte schön - ergänzend zum staatlichen Fächerkanon und absolut freiwillig!

Damit haben wir in Berlin viele Jahre lang gute Erfahrungen gemacht.

Warum soll daher ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Kirchen mit 31 Prozent nur noch eine Minderheit der Bevölkerung repräsentieren, der konfessionelle Religionsunterricht in den Status eines ordentlichen Schulfaches erhoben werden? Logisch klingt das jedenfalls nicht.

Es drängt sich dem objektiven Beobachter daher die Frage geradezu auf, welche langfristigen strategischen Interessen hier noch im Spiel sind. Immerhin wird diese Debatte in der Hauptstadt unseres Landes geführt. Es geht hier wohl auch um den Verlust von Macht, Einfluss, Geld und letztlich um die Deutungshoheit bei Werte- und Sinnfragen.

Meine Damen und Herren,
Um diese Probleme müssen sich die Religionsgemeinschaften, auch die in Deutschland etwas verwöhnten christlichen Kirchen - bitteschön - selbst kümmern und sollten den Staat nicht instrumentalisieren.

Um aber auch nicht falsch verstanden zu werden: Der Humanistische Verband hat kein Interesse daran, in einen überflüssigen Kulturkampf hineingezogen zu werden. Im Gegenteil: Wir wissen, dass die Kirchen und der HVD gemeinsame Gegner haben, gegen die es sich lohnt, auch gemeinsam die Werte von Aufklärung und Humanität, von Vernunft und Toleranz zu verteidigen.

Ich denke da etwa an die vielen christlich orientierten fundamentalistischen Gruppen und Freikirchen, die seit geraumer Zeit - meist aus den USA gesteuert - sehr erfolgreich auch bei uns agieren. Nicht zuletzt machen sie so mancher Landeskirche selbst schwer zu schaffen. Diese Gruppen fordern z.B., die Evolutionstheorie durch den Kreationismus im Biologieunterricht zu ersetzen. Fundamentalistische islamische Gruppen wollen Mädchen den Schwimmunterricht oder Klassenfahrten verbieten. Und die Zeugen Jehovas lassen ihre Kinder an keinem einzigen Fest teilnehmen. Letztere haben im Übrigen in Berlin die Körperschaftsrechte erstritten.

Wie hoch unsere Gerichte im übrigen die Religionsfreiheit halten und wie wenig damit der Staat Einfluss auf einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht in Wirklichkeit hat, das wurde im Oktober 2001 deutlich. Damals urteilte das Berliner Verwaltungsgericht zur Islamischen Föderation, die seitdem bekanntlich eigenen Religionsunterricht in Berliner Schulen anbieten darf, wie folgt, Zitat: "Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Religionslehrer aus ihrer religiösen Überzeugung heraus punktuell von der Verfassung abweichende Standpunkte vertreten dürfen. (...) Das Grundrecht der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbietet dem Staat die Einmischung in die Glaubensüberzeugungen, -handlungen und-darstellungen religiöser Gemeinschaften."

Pointiert und vielleicht auch ein wenig provokant möchte ich diese Gefahren wie folgt zuspitzen:
Heute ist es der Ethikunterricht, morgen die Biologie und übermorgen vielleicht der Kunstunterricht oder die um Mädchenemanzipation bemühte Schulstation. Wir stehen heute nicht nur vor einer kurzfristigen Entscheidung, sondern vor einer Weichenstellung für die nächsten zwanzig Jahre in der Berliner Schule!

Meine Damen und Herren,
ich fasse zusammen:
1. Es besteht die Gefahr dass unsere Gesellschaft sozial-kulturell weiter zerfällt. Die Einführung von bekenntnisorientiertem Religionsunterricht als Wahlpflichtunterricht käme einer Förderung von Parallelgesellschaften sogar in den öffentlichen Schulen gleich. Stattdessen braucht unsere Gesellschaft für ihren inneren Zusammenhalt das gegenseitige Kennenlernen und die positive Erfahrung gemeinsamer Wertebildung -, das kann nur ein obligatorischer Ethikunterricht ohne Abwahlmöglichkeit leisten.

2. Die moderate Trennung von Kirche und Staat und die Gleichbehandlung des Humanismus ist ein wesentlicher Bestanteil der demokratischen Schule in Berlin und hat sich seit sechzig Jahren bewährt. Ein Drittel der Berliner Bevölkerung ist noch Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. Eine Aufhebung dieser Trennung wäre heute geradezu ein Anachronismus.

3. Mit der Einführung eines allgemeinverbindlichen Ethikunterrichtes in der Oberschule befindet sich Berlin mit an der Spitze einer gesamteuropäischen Entwicklung für ein integratives lernen von grundlegenden Werten. Wir sollten daher verstärkt über unseren Tellerrand hinausschauen und uns mit diesen progressiven Diskussionen und Bewegungen in Europa austauschen, vernetzen und verbünden.

4. Der Humanistische Verband will, wie ich es bereits gesagt habe, keinen Kulturkampf in unserer Stadt. Wir haben gemeinsame Gegner: Das sind die Fundamentalisten, die es in allen Bekenntnissen gibt. Diesen müssen wir mit Vernunft und Aufklärung in der Berliner Schule entgegen treten. Dazu brauchen wir ein gemeinsames Fach Ethik und keine Parallelgesellschaften in der Berliner Schule!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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